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Nie jestem botem

Aktion „Buch des Monats“: Robert Prosser „Phantome“

In diesem Jahr werden wir jeden Monat Auszüge aus der österreichischen Gegenwartsliteratur in Übersetzung von Małgorzata Gralińska publizieren.

Zusammenarbeit: Universitätsbibliothek in Warschau, Österreich-Institut Warschau und Österreich-Bibliotheken in Polen

Werbeaktion im Rahmen der Initiative der Sektion für Internationale Kulturangelegenheiten des Bundesministeriums für europäische und internationale Angelegenheiten in Zusammenarbeit mit der Österreichischen Gesellschaft für Literatur – „Jahr der österreichischen Literatur / Internationale Literaturdialoge”, https://www.literaturdialoge.at




ROBERT PROSSER

Lebenslauf
Robert Prosser, geboren 1983 in Alpbach/Tirol, lebt dort und in Wien. Studium der Komparatistik sowie Kultur- und Sozialanthropologie, Aufenthalte in Asien, in der arabischen Welt, in England und in Bosnien. Er ist Mitbegründer von BABELSPRECH zur internationalen Förderung junger Poesie, Schriftsteller und Performer – aus den Romanen rezitiert er frei oder im Spoken-Word-Format mit einem Schlagzeuger. Robert Prosser wurden zahlreiche Preise und Auszeichnungen verliehen, u.a.: das Projektstipendium für Literatur der Österreichischen Bundesregierung (2018), Nominierung Longlist Deutscher Buchpreis – für den Roman Phantome (2017), Grenzgänger-Stipendium der Robert-Bosch-Stiftung (2014), Aufenthaltsstipendium am LCB – Literarisches Colloqium Berlin – (2014).

Veröffentlichungen (Auswahl)
Beirut im Sommer. Ein Journal, (Literarische Reportage zu den Auswirkungen des Syrienkrieges), Klever Verlag, Wien, 2020
Gemma Habibi, (Roman), Ullstein Verlag, Berlin, 2019
Phantome, (Roman), Ullstein Verlag, Berlin, 2017

Inhalt Phantome
In seinem 2017 erschienenen politischen Roman Phantome erzählt Robert Prosser vom Krieg im ehemaligen Jugoslawien. Im Mittelpunkt der Geschichte steht das junge Liebespaar Anisa und Jovan, das der Bosnienkrieg 1992 trennt und das sich nie wieder sehen wird. In eindringlichen Bildern wird Anisas Flucht nach Wien und das Schicksal des bosnischen Serben Jovan im Zuge der Kriegswirren geschildert. Die bruchstückhafte Erzählung über ihre Herkunft veranlasst Jahrzehnte später Anisas Tochter Sara, sich auf den Weg nach Bosnien zu machen. Es wird eine schmerzhafte Reise, die sie gemeinsam mit ihrem Freund, einem Graffitisprayer, unternimmt. Mit der Vergangenheit der Mutter erwacht die Erinnerung an einen schandhaften Krieg, der in der jüngeren Vergangenheit auf europäischem Boden stattgefunden hat. Der Roman stand im Jahre 2017 auf der Longlist des Deutschen Buchpreises.


Leseprobe

Außer diesem Schritt und dem nächsten zählt nicht viel, in der Bahnhofshalle vorbei an Trafik und Blumenladen, die mattweiß gefliesten Treppen hoch. Zürich Bukarest Berlin steht auf der großen Anzeigetafel. Mit einem Rasseln, das Anisa an Zähneklappern erinnert, lösen sich die Buchstaben und Zahlen in einen weißen Zeichenschleier, fügen sich zu neuen Orten und Zeiten. Sie geht hinaus zu den Bahnsteigen, in die flirrende Sommerhitze und kann ein Grinsen nicht unterdrücken: Die Stadt, in der das Flüchtlingslager liegt, und Bécs, aus dem Geschichtsunterricht geläufig, sind ein und dasselbe. Beim Anblick eines Werbeplakats neben dem Kartenschalter ist es ihr schlagartig bewusst geworden: Das also ist Wien.

Draußen startbereit summende Garnituren, fremde Sprachen, Abschiedswinken. Unter einer Sitzbank liegt eine Nagelfeile. Anisa kniet sich hin, steckt sie schnell ein. Hinter Waggonfenstern Fahrgäste, die sich auf gepolsterten Sitzen ausstrecken, Bierdosen oder Wasserflaschen öffnen. Ein Schaffner vergleicht die Zeit an seinem Armgelenk mit jener der runden Uhren über den Köpfen. Anisa schlendert weiter bis zum Bahnsteigende, lehnt sich an das Schild, das vorm Weitergehen warnt.

Entfernt die Umrisse von Gebäuden, Laternenpfählen. Überkreuzte Gleise. Die Rücklichter eines abfahrenden Zuges glimmen rot, fügen sich ein ins von Signalen punktierte Schienenfeld. Das schrille Bremsen rangierter Güterwaggons ist zu hören; ein Geräusch, das bis vor kurzem, während eines Spazierganges durch Sarajevo, etwas in ihr bewirkt hätte. Ein Weiterwollen, woandershin. Wenn die Arbeit im Café nebensächlich war, der Tag stattdessen erfüllt von Erwartung, der Lust auf Reisen, Abenteuer. Momente, deren ruhige, zugegeben langweilige Abfolge jetzt, im Nachhinein, eine Art von Glück ist. Eine Straßenbahnfahrt beispielsweise. Das träge Rattern, die Gesprächsfetzen und ruckelnd anvisierten Haltestellen, geöffnete Schiebetüren und Rufe, Gelächter. Jovans Hand auf ihrem Oberschenkel. Beide sahen durch die Hinterscheibe auf die zurückgelegte Allee. Die Fahrspur ein dunkelgrün flackernder Tunnel aus Blattwerk; der Himmel in den Fenstern naher Häuser wie Scherben aus Wolke und Blau.

Die Faszination lag im Eingeständnis, dass der Glaube, den anderen zu kennen, eine Täuschung ist. In Sarajevo fuhren sie mit der Straßenbahn zum Zoo, und während des Schlenderns von Gehege zu Gehege, von Affen zu Löwen, von Lamas und Bären zur Voliere, wurde Jovan fassbarer und rätselhafter zugleich.

In Arbeitspausen saß sie gern am Platz vor der orthodoxen Kirche und sah den alten Männern zu, die dort Schach spielten; ihr gefiel die Vorstellung, dass die Beziehung mit Jovan einem leeren Schachbrett ähnelte, für das sie mit jeder Beobachtung eine Spielfigur erhielt. Ein Ausflug in den Zoo beispielsweise könnte einen Turm einbringen, und einen Springer gab es für Kinobesuche, wenn Jovans Gesicht im Schein der Projektionen aufglomm. Sie mochte es zu beobachten, in wie viele Facetten er sich während der Filmvorführungen spaltete; sein unterdrücktes Kichern oder erstauntes Kopfschütteln bewiesen ihr, dass es Verborgenes in ihm gab, das sie gleichsam begreifen wollte. Im Zoo bestaunte sie die Fremdheit im Wesen Jovans, während er sich im Wundern über exotische Tiere verlor. In einem Käfig lungerte auf einem gefällten, das Gehege durchschneidenden Baumstamm ein Schneeleopard. Das Tier sah auf, da Jovan näher trat und die Hand durch das Gitter steckte. Anisa stand neugierig abseits, wie mit dem Schneeleoparden übereingekommen, ihrem Freund eine Falle zu stellen. Den langen Schweif durch die Luft geschwungen, spannte die Raubkatze ihren Leib und sprang gegen die Absperrung, welche unterm Aufprall erzitterte; gelbliche Fangzähne und Speichelfäden im geöffneten Maul, die linke Tatze erhoben, um Jovans Gesicht zu zerkratzen, der in einer Mischung aus Schreien und Lachen zurückwich, erregt, den Schneeleoparden provoziert zu haben.

Ein Pfiff lässt sie aufhorchen. Sie wendet sich um, erspäht neben einem Gepäckwagen eine hagere Gestalt, die ihr winkt, die Augen beschattend, erkennt sie Emir. Offenbar hat er die Frau gefunden, die am Bahngelände Memphis-Zigaretten aus einem Koffer verkauft, die billigsten Wiens, kursiert im Lager das Gerücht.

Aus: Robert Prosser "Phantome", Ullstein Verlag, Berlin 2017


Rezensionen
»… ein äußerst eindringlicher Roman, ein sprachmächtiges Werk von ethnographischer Genauigkeit und Verve, das zusammenhangreiche Einblicke in Geschichten bietet, die unweit von Österreich und dennoch in unendlicher Entfernung geschehen sind.« (Klaus Zeyringer, In: Literatur und Kritik)

»Es ist ein zorniger, politischer Roman geworden, den Robert Prosser geschrieben hat, über die großen Verwundungen, über das Halt- und Bodenlose, eben über die Folgen eines kaum aufgearbeiteten Krieges, dessen Verletzungen noch lange nachwirken.« (Elke Schlinsog, Deutschlandfunk Buchkritik)

Die Materialien stammen aus der Publikation: https://www.bmeia.gv.at/fileadmin/user_upload/Zentrale/Kultur/Publikationen/schreibART_III_2020__BMEIA_Programm_web.pdf



 

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