Diese Seite verwendet Cookies u. ä. Technologien um individualisierten Service zu bieten und Statistiken zu erstellen. Bei Verwendung dieser Seite ohne Veränderung der Einstellungen des Webbrowsers werden die Cookies auf Ihrem Endgerät installiert. Bedenken Sie, dass Sie die Einstellungen Ihres Webbrowsers jederzeit ändern können.

  • De
  • Pl
  • En
  • Kontakt

Poleć artykuł!

Nie jestem botem

Aktion „Buch des Monats“:
Semier Insayif „Faruq”
In diesem Jahr werden wir jeden Monat Auszüge aus der österreichischen Gegenwartsliteratur, ausgewählt und übersetzt von Małgorzata Gralińska, publizieren. Redaktion: Monika Gromala
Zusammenarbeit: Universitätsbibliothek in Warschau und Österreich-Bibliotheken in Polen

Werbeaktion im Rahmen der Initiative der Sektion für Internationale Kulturangelegenheiten des Bundesministeriums für europäische und internationale Angelegenheiten in Zusammenarbeit mit der Österreichischen Gesellschaft für Literatur – „Jahr der österreichischen Literatur / Internationale Literaturdialoge”, https://www.literaturdialoge.at

 


SEMIER INSAYIF
Faruq (Haymonverlag, Innsbruck 2009)

Lebenslauf
Semier Insayif, geboren 1965 als Sohn einer österreichischen Mutter und eines irakischen Vaters. Lebt in Wien, als Dichter und Schriftsteller, Kommunikationstrainer, Berater, Mediator und Supervisor. Er tritt seit 1993 im Rahmen von Lesungen und Sprechperformances im In- und Ausland auf. Zahlreiche Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften, Anthologien, Kunstkatalogen sowie Auftritte im Rundfunk. Konzeption, Organisation und Moderation literarischer Veranstaltungen, Durchführung von Literaturseminaren und zahlreichen literarischen Schreibwerkstätten. Seit dem Jahr 2000 kunstübergreifende Projekte und Kooperationen mit bildenden Künstler:innen, Tänzer:innen, Musiker:innen und Komponist:innen.

Preise und Auszeichnungen (Auswahl)
2019/2020 Projektstipendium für Literatur des Bundesministeriums für Kunst und Kultur
2012 Artist in Residence der Österreichischen Gesellschaft für Literatur in der „Casa Litterarum“ (Paliano, Italien)
2003 Finalist des Puchberger Literaturpreises
2000 Wiener Werkstattpreis

Veröffentlichungen (Auswahl)
mondasche, (Prosa), Klever Verlag, Wien, 2019
herzkranzverflechtung, (Sonette), Hochroth Verlag, Wien, 2018
über zeugungen, (Gedichte), Verlag Berger, Horn, 2017
boden los, (Gedichte), Haymonverlag, Innsbruck, 2012
Faruq, (Roman), Haymonverlag, Innsbruck, 2009
unter schall – gedichte im zweiklang, Offizin S., Meran, 2007
über gänge verkörpert oder vom verlegen der bewegung in die form der körper, (Gedichte),
Haymonverlag, Innsbruck, 2001

Faruq (Inhalt)
In seinem autobiographisch unterlegten Roman erzählt Semier Insayif eine Familiengeschichte zwischen Orient und Okzident, zwischen Wirklichkeit und Phantasie. Wien, um 1950: Ein junger Mann macht sich aus seiner Heimat Bagdad auf nach Wien; er will Medizin studieren, eine neue Zukunft aufbauen, fern von der Heimat. Jahrzehnte später: Ein anderer junger Mann begibt sich auf den Weg zu seinen Wurzeln, in die Geschichte seiner Familie. Seine Erinnerung führt ihn zurück nach Bagdad, in die Heimat des Vaters. Entlang arabischer Worte, Zeichen und Satzfetzen, die wie aus einem Nebelschleier auftauchen, tritt er ein in eine fremdvertraute Sprache und Kultur; und er begegnet einer Frau, die unendlich weit entfernt ist, und vielleicht zugleich unendlich nahe. Mit Faruq präsentiert der Autor eine lyrische Prosaarbeit, mit der er „die Farben seines singenden Sprechens“ zum Leuchten bringt.


Leseprobe
… und wie er erzählte. und erzählen konnte. von einer kleinen straße. in der weit über hundert kinder lebten. auf elf familien aufgeteilt. in elf lose nebeneinander und gegenüber liegenden häusern. eines davon. das allerletzte. war das haus seiner familie. in dieser kleinen, etwas abgelegenen straße, die sich mitten im alten zentrum der stadt befand. der größe nach war es eigentlich mehr eine gasse. mit einem blinden ende. aber es war das zentrum seiner welt. regiert wurde es von den kindern. und er, sein vater, eines von ihnen. war mittendrin. und doch unterschied er sich schon damals von den anderen. so erzählte er. der vater. dass ihm das sein vater schon erzählte. er war anders. in der art sich zu kleiden. sich zu bewegen. zu sprechen. und besonders in der art zu denken. damals. ein paradies für kinder. in bābal-sheich / , einem der ältesten bezirke der stadt, wuchsen die geschichten innerhalb von minuten. auf bäumen. auf sträuchern. in den himmel hinein. fielen auf die erde. ins fenster. in seine augen. hakten sich dort fest. und streckten ihre blüten und zweige weit in seine adern. verströmten ihren duft tief in die lungenbläschen und bis über die hirnbahn in seine gedärme. während er ging. kam das gesicht seines vaters immer näher. schwebte heran. diese entflammbaren augen. gut geschützt. vom schädelknochen. diese augen. dunkles honigbraun. als gewitter. als blitz. als wahrheitsmaschinerie. durchdringend. scharf. beobachtend. misstrauisch. skeptisch. die dichten brauen darüber. etwas wildes war an ihm. etwas unaufhaltsames. unbeugsames. aber immer auch etwas trauriges. jetzt, wo er daran dachte. merkte er es noch viel deutlicher. ungemein zielstrebig. fast beängstigend. konsequent. dieser vater. sein vater. spürbar. präsent. und doch auch uneinschätzbar. irgendwie. undurchschaubar. geheimnisvoll. wenn er, sein vater, sich etwas in den kopf gesetzt hatte. dann hielt ihn nichts. dann hielt ihn beinahe gar nichts mehr. dann steuerte er darauf zu. auf sein ziel. und zwar direkt. mit aller kraft. mit aller leidenschaft. und. mit einem plan. so auch im jahr vierundfünzig. neunzehn jahre alt. als die reise begann. von bagdad nach beirut  / min baghdād ilā beīrūt. mit dem bus. danach mit der espiria. fünf tage bis brindisi. der apulischen provinzhauptstadt. eingefahren in ihren dreigeteilten hafen. so der vater. durch den äußeren und mittleren bis in den inneren hinein und dann an land gegangen. die stadt blieb in seinem gedächtnis ein ungeschriebenes, jedoch erinnertes gedicht. so erzählte er ihm oft. von dort mit dem zug weiter nach venedig. und von venedig nach wien. am zwanzigsten oktober neunzehnhundertvierundfünzig. in wien angekommen. ein mittwochnachmittag. grau. kalt. er hatte nur eine hose, ein hemd und eine dünne jacke am leib. ohne mantel. mäntel kannte er nicht. war ein fremdwort für ihn. ein doppeltes. und wien ein riesiger überdimensionaler friedhof, mit einem dünnen schneefilm überzogen. zum ersten mal sah er schnee. er hatte kein richtiges wort dafür. hatte ein wort für eis ist gleich schnee ist gleich / thaldsch. sah vom zugabteil aus den verschmierten fenstern. sah das zerbombte wien. war erschrocken. damals. diese trostlose stadt. mit ihren unerwarteten spitzdächern. nur gräber waren von spitzdächern bedeckt. in seiner heimat. in bagdad. auf den wohnhäusern. flachdächer. auf denen man schlafen konnte. in den heißen monaten. im sommer. die reise dauerte mit aufenthalten beinahe zwei wochen. präzise und bedacht. da war vater kompromisslos. und doch. als er eine eigene familie gründete. in diesem fremden land. zwang er sich zu mehr anpassung. zu mehr zurückhaltung. den fremden menschen gegenüber. den männern gegenüber, die ihn provozierten. den älteren frauen gegenüber, die wohnungen oder zimmer vermieteten. sie schlugen ihm die tür vor der nase zu, bevor er auch nur ein wort an sie richten konnte. die meisten jedenfalls. im wien der fünfziger jahre. geduckte stimmung. anpassung, mehr als ihm lieb war. …



Rezensionen
Semier Insayifs Debütroman Faruq ist sowohl in sprachlicher als auch in inhaltlicher Form ungewöhnlich und zählt gerade deshalb zu den raren Literaturerscheinungen am österreichischen Markt.“ (Sascha Todtner, www.buchkritik.at)

Ein kunstvoll gewobener Text wie ein schöner persischer Teppich, in dem man stets neue Muster entdeckt.“ (Andrea Grill, Literaturhaus Wien)

Die Materialien stammen aus der Publikation: https://www.bmeia.gv.at/fileadmin/user_upload/Zentrale/Kultur/Publikationen/schreibART_III_2020__BMEIA_Programm_web.pdf




 

01.06 - 30.06.2023 ON-LINE